Gewalt im Dienstalltag: die SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek - Sciences Po Accéder directement au contenu
Ouvrages Année : 2009

Gewalt im Dienstalltag: die SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek

Résumé

Zwischen Herbst 1942 und Frühjahr 1944 waren im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek 28 SS-Aufseherinnen beschäftigt. Ihre erste »Konzentrationslager-Erfahrung« machten diese Frauen im zentralen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, wo sie für ihren Einsatz ausgebildet wurden. Zu ihren Aufgaben gehörten die täglichen Zählappelle, die Einteilung der Häftlinge in Arbeitskommandos und die Überwachung der Frauen im Block sowie bei der Arbeit. In Majdanek führten sie auch die Selektionen der weiblichen Häftlinge durch. Elissa Mailänder Koslov untersucht anhand von NS-Dokumenten, Zeugensaussagen, Interviews und Erinnerungsliteratur, was diese Frauen dazu bewogen hat, in einem Konzentrationslager zu arbeiten, wie sie sich im »Universum der Gewalt« Majdaneks zurechtgefunden und wie sie es mitgestaltet haben. Die meisten dieser jungen, zum überwiegenden Teil um 1920 geborenen Frauen waren ledig und entstammten einem sozial weniger privilegierten Milieu. Insofern versprach der Aufseherinnendienst in erster Linie einen gut bezahlten, sicheren Arbeitsplatz, sozialen Aufstieg und obendrein den Beamtenstatus. Aber auch Abenteuerlust, Anerkennung und nicht zuletzt materielle Bereicherung sowie Ehrgeiz spielten bei ihren Bewerbungen eine Rolle. Wie kam es jedoch dazu, dass die anfangs sehr verunsicherten und vom Lageralltag schockierten Frauen innerhalb nur weniger Wochen zu »SS-Aufseherinnen« wurden und insbesondere in Majdanek ein ausgesprochen brutales und grausames Verhalten an den Tag legten? Der alltagsgeschichtliche Zugang der Autorin zeigt, dass die Entwicklung dieses Gewaltverhaltens keineswegs ein linearer Prozess war, sondern durch komplexe normative, institutionelle, soziale und situative Dynamiken vor Ort entstand. So bedeutete etwa das Tragen einer Uniform und Dienstwaffe Machterfahrung und Selbstermächtigung und verlieh der Aufseherinnenarbeit eine gewisse »Legitimität«. Die tägliche Gewaltausübung diente nicht allein dazu, die Gefangenen zu beherrschen, zu brechen und zu zerstören, sondern richtete sich nicht zuletzt auch an die umstehenden Kolleginnen und Kollegen, um zu zeigen, wozu man »fähig« war. Insofern ging es also auch um Macht und Selbstdarstellung innerhalb der SS-Kollegenschaft. Der Dienstalltag, die Allgegenwärtigkeit von Gewalt, Tod und Vernichtung, das täglich zu erfüllende Arbeitspensum, die kleinen und größeren »Probleme« und deren Lösung, die Gratifikationen und das Gefühl des SS-Personals, etwas (er)schaffen zu können, all das wirkte sinnstiftend, motivierend und zugleich radikalisierend. Die alltagsgeschichtliche Perspektive zeigt, dass die von SS-Aufseherinnen in Majdanek ausgeübte physische Gewalt nicht allein von »von oben« befohlen wurde. Auf allen Dienstebenen verfügten sie über gewisse Handlungsspielräume und Möglichkeiten, die Anordnungen zu interpretieren: Und davon machten sie auch reichlich Gebrauch.

Domaines

Histoire
Fichier non déposé

Dates et versions

hal-03415682 , version 1 (05-11-2021)

Identifiants

Citer

Elissa Mailänder. Gewalt im Dienstalltag: die SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek. Hamburger Edition, pp.521, 2009. ⟨hal-03415682⟩

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